Archiv | April, 2012

KETTEN ZU VERLIEREN UND EINE WELT ZU GEWINNEN

20 Apr

vom 20.04.12

Woher, woher nur kommt dieses Gefühl, dass man sich in der Vergangenheit befindet, wenn man in Athen unterwegs ist? Nicht daran glaubend, dass sich Geschichte in der Tat wiederholt, scheint es gleichermaßen auch die Zukunft zu sein, in der sich dieses Land befindet – so oder so, fühlt sich der deutschen Beobachter einer undefinierbaren Zeitverschiebung ausgeliefert.

Die Universität ist umkämpftes Terrain. Wer eine Alt68er-Romantik pflegt, ist hier gut aufgehoben, denn aus der Uni heraus gibt es Impulse die Gesellschaft zu verändern. Was auf den ersten Blick die kämpferische Natur anspricht (jawohl, hier geht es noch um etwas!) erwächst allerdings aus der bedrückenden Notwendigkeit, sich einsetzen zu müssen, weil es sonst wirklich keine Freiräume mehr gäbe. Sie lassen die Studenten hier so lange studieren, weil es eh keine Arbeit für sie gibt.

Denn die Unis hier stehen aktuell stark unter dem Druck des neoliberalen Umbaus, wo sich der Staat aus der Verantwortung für die Bildung zurückzieht und den Nährboden für den Populismus bereitet, auf der er mangels inhaltlicher Legitimation gegründet ist. Keine Bildung: stumpfe Menschen.

An Tagen wo die Sonne scheint und alles soweit seinen Gang geht, ist es kaum zu verstehen. Es ist nicht zu verstehen, dass dieses Land keine Demokratie mehr ist  – wenn es denn je eine war und dieser Begriff heute noch Sinn ergibt; dass seine Regierung keine, aber auch wirklich keine demokratische Legitimation besitzt und zur Kolonie des Weltmarktes wurde, um den sich Eurozone, allen voran Deutschland, und die USA streiten.

Letztere haben sich verschätzt mit den kostspieligen verlorenen Kriegen und einer Staatsverschuldung, die doch auf das gleiche hinausläuft wie jene der Griechen. Nur, dass die Amis nie ein öffentliches Gesundheitssystem hatten und es hier wie alle anderen öffentlichen Güter abgebaut wird.

Und das schmerzt. Es schmerzt, wenn alte Menschen einen auf der Straße anhalten und nach Essen fragen. Es ist kein Hobby, wenn Leute systematisch den Müll durchwühlen um etwas Verwertbares zu finden. So etwas hat es vor zwei Jahren nicht gegeben! Doch es ist in erster Linie keine Frage von Intelligenz, ob man die Zusammenhänge blickt oder sich der Realität verweigert.

So, wie die Griechen, welche arbeitslos, keinen vernünftigen Tagesablauf haben, nur hoffen im Ausland Arbeit zu finden, wie alle ihre Freunde. Und dabei viel zu viel trinken. Ach ja, aber Deutschland ist gut. Deutschland – gute Arbeit, gutes Geld! Dabei aber schimpfen sie auf die Obdachlosen, welche ja nicht arbeiten wollen und ihre Kartonhäuser unbeirrt in den Ecken der großen Häuser aufschlagen; ganze Familien sind es, die sich dort zusammenrotten. Keine Arbeit: halbierte Menschen.

Das Leben ändern, denn ändern wird es sich sowieso. Die Welt verändern, denn ändern wird sie sich sowieso. Die Macht angreifen, denn unter gewissen Umständen heißt das Selbstverteidigung.

Bei dieser Polizei zumindest. Sie steht und schaut. Und schaut das nichts geschieht. Das nichts geschieht, was nicht geschehen darf. Maschinenmenschen mit geladenen Pistolen. Auf ihren Motorrädern fahren sie blau blinkend durch die Stadt. Sammelten in der Woche vor Ostern 3000 papierlose Immigranten auf und sperrten sie in eines der 30 neu errichteten Konzentrationslager außerhalb der Stadt.

Hey du, anhalten! Wieso? Zeig mal deinen Ausweis, du kommst doch nicht von hier! Wenn du Franzose bist, warum siehst du dann wie ein Araber aus? Na ja, hast Glück, dass du kein Schwarzer bist! Keine Papiere: Untermenschen.

Für primitivste rassistische Raster braucht es keine Intelligenz. Aber Deutschland, gutes Land. Gutes, gutes Land, welches die Einwanderer nach der Drittstaatenregelung alle wieder nach Griechenland zurückschickt, wo sie in die EU gekommen sind. Welches den Abbau der Gemeingüter erzwingt, für die Menschen seit dem Ende der Militärdiktatur fast  40 Jahre lang gearbeitet haben.

Und die Nazis greifen an, wie es gestern wieder geschah. Die Polizisten schauen zu, wie Ausländer verprügelt werden. Und als ihre Verwandten und Freunde kommen um ihr Recht einzuklagen, schlagen die Bullen diese zusammen. Wenn mal zwei Autos in Exarcheia brennen, nehmen sie die Gegend auseinander. Wenn die Arschlöcher am Omonia-Platz diesen letzten Dreck an Drogen verticken, stehen sie rum und tun – nichts. Denn genau das ist ihre Aufgabe. Staat im Staate. Maschinenmenschen. Ohne Herz und Verstand. Wofür braucht es eine Polizei? Kein Gewissen: keine Menschen.

Man wünschte, es wäre eine Zeitreise in die Vergangenheit. Doch weil es ganz hier und heute ist, ist es auch das, was uns bevorsteht. Das ist die ungleichzeitige Gleichzeitigkeit der lokalen Globalität. Dort, wo die gesellschaftlichen Widersprüche sich manifestieren, wird deutlich, dass es KEIN Versehen ist. Dass es KEIN Fehler ist, was hier geschieht und das es hier NICHTS abzumildern und zu verbessern gibt.

Das, was es gibt, ist Ketten zu verlieren und eine Welt zu gewinnen.

DIE ANDERE PERSPEKTIVE

11 Apr

Blick von oben

Auf das weisse Haeusermeer, scheint die Sonne nieder. Vieles regt sich, vieles lebt und Einiges trachtet nach dem Tode; trennt uns, isoliert sich, durch und wegen jenem, was zwischen uns steht und uns zu kaempfen heisst. Wegen der Trennung und gegen die Trennung.

Denn der ungesaettigte Lebenshunger, die grosse ueberwaeltigende Sehnsucht – treiben uns an, bringen uns voran, werfen uns zurueck; Sind doch nie Stillstand, sind doch nie Zustand, kennen kein Vaterland. Sie proben den Aufstand – denn es liegt in unsrer Hand, in unserer Hand. 

Es wird Fruehling. Es wird Fruehling in der hellen Stadt, die da gaert und brodelt; die da arbeitet und bedrueckt wird; die da lebt und sich verwandelt. Es pulsiert, das Konglomerat, die Ansammlung, der grosse Haufen

aus Haeusern, Katzen, Felsen und Strassen,

aus Plaetzen, Autos, Rohre und Hunden,

aus Waren und Baeumen; aus Luft und Maschinen

aus Tauben und Farben, Flaschen, Metro und Gedanken

Und: aus Menschen, die alle nur ein Leben haben.

Auf das weisse Haeusermeer, scheint die Sonne nieder. Sie scheint und belebt. Und unfassbar ist, dass sich ausserhalb des strahlend blauen Himmels, nur die tiefe Schwaerze des eiskalten Alls sich befindet.

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Blick von aussen

Eigentlich find ich “das Volk” scheisse. Aber die Griechen, die Griechen… Was soll ich sagen, sie machen halt ihr Zeug. Griechen rum, die Griechen. Habitus, Geschichte, Sozialstruktur und so weiter – aber so richtig erklaeren kann man sie nicht.

Steckt am Ende in jedem von uns ein Grieche? Ich hoffe nicht, den die Antike ist zum Glueck schon lange vorbei, auch wenn manche in der Krise meinen, mit ihr anprangern zu muessen. Aber das ist eben die Art der sich selbst so bezeichnenden “Philosophen”: schwaetzen, prangern, Knaben voegeln. Ist auch jeder ein malaka, onaniert hier natuerlich niemand – sind ja keine Tuerken.

Und dann spielt die Musik, im Radio oder live, und sie singen mit, die Griechen; kennen die Texte, kluengeln in Rudeln rum und machen ihr Zeug. Das ist schon sehr sympathisch, wenn sie so im Kreis rumstehen und tanzen. Oder wenn sie einfach mal stundenlang Kaffee trinken, weil sie arbeitslos sind.

Voll ist der Mond. Zwanziger Jahre rebetiko. In der Naehe antiker Krimskram, besichtigt von modernen Touristen. Lass mal ein event haben, was erleben. Wo die Leute so schoen zusammenkommen und ihr Zeug machen, wenngleich der Griff des Kapitals ihnen die Kehle zudrueckt. Das ist ein Lebensgefuehl, was? Geil. 

Na ja und dann halt die boesen Politiker, die Schweine. Wer hat die nur gewaehlt? Der Minderwertigkeitskomplex ist leider nicht nur deutsch – hat ja auch seine Gruende. Nur das Griechen zur Kompensation an den Strand gehen, Ouzo trinken oder einfach schoen sind, waehrend Deutsche lieber was arbeiten, was basteln, werkeln, sammeln und Bier trinken.

Und der Zusammenhalt, das Familiengefuehl der Griechen! Wenn sich der Enkel doch nur mal melden, oder die Bekannten etwas mehr Interesse zeigen wuerden! Aber ganz ehrlich, es ist fuer jeden scheisse, bis 30 bei seinen Eltern wohnen zu muessen oder aus der aetzenden Grossstadt einfach nicht rauskommen zu koennen.

Sind aber Griechen. Die werden sich schon dran gewoehnen. Die sind das gewohnt. Kann man nicht verstehen, wie sie immer ihr Zeug machen, was manchmal sehr skurril ist. Warum sie immer auf ihren Standpunkten beharren und dann am Ende trotzdem sowas wie “ein Volk” konstruieren muessen. – Kannste nicht verstehn… Griechen.

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Blick entaeussert innewohnend

Die Wolken brechen auf und Himmel, Welt stuermt uns entgegen; reisst uns mit, verwandelt uns; in einem unbestimmten wilden, aber auch zaertlichem Fliessen ; ohne Ziel, Sinn, Wahrheit und Gesetz uns ganz vergessend, erkennend, findend und ganz Da-seiend. Mit beiden Beiden auf dem Boden stehen; mit dem Gesicht zur Welt.

Endlich, endlich nicht mehr zufrieden sein wollen. Uns nicht mehr einfuegend Gesellschaft aus den Fugen bringen. Keine Harmonie, keine Harmonie! ; – nur wir, nur wir Welt.

Wir als alle, die vor uns waren. Wir, als alle, die nach uns kommen. Wir, als Spiegel unserer Mitmenschen. Wir, als Ausdruck und Versuch des Lebens. Wir, durch alles, was wir verwirklichen. Und wir, durch alles, woran wir scheitern. Wir als Sternenstaub; wir als Bewusstsein. Wir als alles in allem nichts Besonderes; nur eben alles was wir sind.

Das Nest ist warm und gemuetlich. Doch du bist alt genug, bist fluegge und gruener wird’s nicht. Taumel, spring, stuerze – in freiem Fall benutzt du deine Fluegel. Das nennt sich Reflex.

POPULISMUS, POLITIK, PARTEIEN

6 Apr

vom 04.04.12

In einer großen Turnhalle in Αιγάλεω (Egaleo) lud das aus neun Parteien bestehende, im weitesten Sinne ’sozialistische‘, Wahlbündnis zu einer großen Veranstaltung ein. Der SYRIZA hat eine komplizierte Geschichte, beginnend mit der Abspaltung von der moskaugesteuerten KKE und einer eurokommunistischen Ausrichtung im Jahr 1968, über die Zersplitterung in dutzende kleine Gruppen und Bündnisse bis zum Versuch der Wiederannäherung vor den letzten Wahlen. Bald sind wieder Wahlen und es gilt einen Geist der Einheit zu schmieden, um Politikangebote für das Wahlvolk zu formulieren, die soziale, demokratische und freiheitliche Alternativen zur herrschenden neoliberalen Troika und der sie stützenden Regierungsparteien PASOK und NEA DEMOKRATIA darstellen sollen. Der SYRIZA ist in der European Left organisiert, im Gegenteil zur euroskeptischen nach wie vor bestehenden KKE, wird aber von der ‚Demokratischen Linken‘ als zu sozialistisch eingestuft, weswegen sie selbstständig zu den Wahlen antreten werden. Und daneben gibt es noch ein trotzkistisches Wahlbündnis ΑΝΤΑΡΣΖΑ – alles sehr verwirrend!

Was heißt zu sozialistisch? An der Metrostation Αιγάλεω wird man ohne sich dem entziehen zu können von rockiger kämpferischer Musik und dem Hinweis auf die Veranstaltung begrüßt – aber es geht um etwas. Fahnen werden geschwenkt – aber es sind bunte Fahnen. Jugendliche rufen nervtötende Sprechchöre zwischen den Abschnitten der Reden – aber sie brauchen diese Bestätigung, weil ihre Position von allen Seiten angefochten wird. Und es so schwierig ist in dieser undemokratischen Zeit Politik machen zu wollen, nicht zu resignieren wie es viele tun. Auch wenn es keine Antworten mehr gibt. Wenn es sie denn je gab.

Wir leben in spannenden Zeiten, die eine Wende mit sich bringen, auch wenn niemand erahnen kann, wohin sich wer und was wie wendet. Linksherum oder Rechtsherum macht einen wesentlichen Unterschied, berührt aber keineswegs den Kern einer Gesellschaft im Transformationsprozess. In diesem wurde Griechenland als Katalysator erwählt um zum Beispiel den Deutschen schon einmal zu zeigen, wie das postdemokratische Zeitalter funktioniert, auch wenn sie es schon erahnen. Demokratie mit dem Krimskrams, der dazu gehört, wie ein gewisser sozialer Ausgleich, politische und rechtliche Freiheiten oder auch eine funktionierende Zivilgesellschaft, wirft nicht mehr genug Kapital ab, lohnt sich nicht mehr, wird ausverkauft.

Deswegen die Reden und Parolen, die Fahnen, die Banner, Sticker und Graffiti an den Wänden; die Propaganda in den Zeitungen und Nachrichten und solche Dinge, die einem Deutschen zwar keineswegs unbekannt und dennoch etwas befremdlich erscheinen (müssen). Die griechische politische Kultur mit ihrer langen Geschichte tiefgreifender gesellschaftlicher Spaltungen, mischt sich heute mit der unbegreiflichen Situation der Krise – die ihre eindeutigen Profiteure hat. Ist man nur einen Hauch ideologiekritisch eingestellt, erweckt das Plakat der großen Gewerkschaft ΑΔΕΔΥ spontan Widerwillen. Nicht den Kontext kennend, könnte man es leicht mit einem von den Faschisten verwechseln. Es ist es aber eher sozialdemokratisch. Um das zu verstehen kann man durch die Straßen gehen und auf den Mann mit dem Kartoffelauto warten. Dieser brüllt per Megaphon ‚patates, patates‘ und hält dann gelegentlich an einer Straßenecke an um das Gemüse loszuwerden. Populismus ist nicht gleich Populismus. Genau hinschauen, nachfragen, verstehen, einordnen und kritisch reflektieren unter welchen Gegebenheiten hier Politik gemacht wird.

Bibliotheken in Athen sind nicht so ruhig wie in Deutschland. Aber das ist ganz in Ordnung, immerhin ist es auch möglich hier seinen frappé zu trinken. Wenn Menschen lesen wollen, nervt es aber unheimlich, vom Campus ungemein laute und dumpfe Sprechchöre zu hören. Sind das Kommunisten und jetzt ist doch mal die Revolution ausgebrochen? Nein, schlimmer, der Campus wird von einer riesigen Horde Dumpfbacken okkupiert, der konservativen Studentenorganisation ΔΑΠ-ΝΔΦΚ. Sie haben später eine Generalversammlungen, auf der nichts Vernünftiges gesagt werden wird. Aber es wird ohnehin niemand zuhören, denn diese Jugendlichen, bezeichnen sich selbst als unpolitisch – eine leider hochpolitische Aussage.

Weil sie heute aus ganz Athen zusammengekommen sind, stehen sie in ihren Rudeln und rufen: „Die Gruppe von Panteion ist die allerbeste, die Gruppe von Kapodistrian ist die allerbeste, die Gruppe von xy ist die allerbeste“. Und weiterhin permanent wiederholt wird eine noch tiefgreifender Botschaft: „Uhhh… Ahhh… Uhhh… Ahhh“. Ganz ehrlich, da kann sich die Junge Union noch eine Scheibe von abschneiden. Weil sie die besten Parties machen, Bier verteilen, ohnehin die Allertollsten sind und simple Botschaften brüllen, haben diese Hirnies 60% im Studentenrat. Damit können sie jede Einberufung einer Studentenversammlung verhindern. Die konservative Jugend bezeichnet sich selbst als Zukunft und kommende Zeit. Weil sie ihre Führer stützt und diese menschenverachtende Politik mitträgt, verkörpert sie diese in gewisser Weise auch wirklich. Was das für Menschen heißt, die erahnen was im Transformationsprozess geschieht, kann sich jede(r) selber zusammenreimen. Natürlich gibt es hier auch Menschen, die denken, diskutieren und sich vielfältig engagieren – denen tut der Kopf manchmal ziemlich weh. Verständlicherweise.

Was es zu verstehen gilt, wovon es zu lernen gilt, ist die erwähnte tiefgreifende Spaltung der Gesellschaft. Damit zurück zur Turnhalle und der SYRIZA-Veranstaltung, auf welcher unter anderem auch Gregor Gysi und ein Genosse der französischen Linken spricht. Klatschen und Fahnen und Reden und Lauschen einer Menge Leute, welche wirklich mit dem Herz dabei zu sein scheinen; die sich aufrichtig freuen, hier zu sein. Sie wollen ihre Zerrissenheit und Wut vorübergehend versöhnen lassen, in der Hoffnung, dass da ein Weg ist, ein Licht am Ende des Tunnels. Wenn es eines gibt hat das allerdings mit Europa zu tun. Wenn nicht dann auch. Und mit einem Weltmarkt und mit einer Wirtschaftsweise und Gesellschaftsform, die nicht im Dienste der Menschen steht und es nie stand.

Es muss möglich sein, ohne eine Fahne zu überleben – vielleicht gilt es deswegen eine tragen (zu lassen). Es muss möglich sein, ohne Wahrheit zu leben – vielleicht gilt es deswegen einer vorsichtig entgegen zu streben. Wer Genuss für alle will, sollte mit Genossen arbeiten. Und deswegen gilt es zu Kämpfen: um den Kampf zu überwinden. Vielleicht.

Vielleicht lesen wir eines Tages von der Deutsche Bank, den profitierenden Eliten und den gesteuerten Medien, welche endliche Geschichte sein werden.

Gegen-Wert

2 Apr

vom 31/03/12

Hinweis für Allergiker: Enthält zu Beginn Spuren von Moral und wird gegen Ende pathetisch. Kann aber mit zwei Bier kompensiert werden.

Bei allem Leiden an dieser Welt, ist der schlimmste Makel an ihrer Beschaffenheit, die mächtige Vorstellung der Werthaftigkeit allen Seins, die Bewertung der Dinge – als wenn der Wert den Dingen anhaften würde; als wenn er in ihnen begründet läge.

Weil alles gewertet wird und jedes gewertet werden muss streiten die Menschen, die Wertzuschreiber, fortwährend und immerzu. Sie streben nach Anerkennung in der sozialen Hierarchie; sie schauen nach oben und treten nach unten. Sie wollen gleichen Lohn für gleiche Arbeit oder nur ein größeres Auto als ihr Nachbar. Sie wollen sich Häuser bauen und weit weit weg sein das gleiche wie zu Hause tun, weil das ihren Wert bestätigt und ihre Fähigkeit zur Wertschöpfung regeneriert. Sie müssen Werte schaffen, vielleicht nur, um ein Dach über dem Kopf zu haben, vielleicht nur für etwas Brot, Maisbrei oder einen Fernseher, der sie verblödet und vergessen lässt.

Am Geld klebt Schweiß und Blut und der Fluch von unerfüllten, erpressten und vergeudeten Leben – dabei ist’s nur ein Ding. Doch die von uns geschaffenen Dinge haben sich unserer bemächtigt; sogar das eigene Leben wird darum zum Eigentum, zum Investitionsfeld und zur Profitmaximierungsmaschine.

In der Krise der Wertschöpfung liegt die Umwertung. Und eine Hand voll Wertexperten, bürokratische Technokraten, kommt zusammen und entscheidet für alle, was wieviel Wert sein soll. Freie Bildung ist nichts mehr Wert. Alte, Arbeitslose und Behinderte müssen abgewertet werden. In seine Gesundheit muss jeder selber investieren. Und wer arbeitet wird mehr denn je ent-lohnt.

Und Freiheit? Pah! Wieviel die wert war hing immer nur an den anderen Werten. Der wahren Freiheit aber, widerspricht es völlig, an etwas gebunden zu sein. Sie ist ungebunden, entzieht sich der Bewertung und ist darum ihr schlimmster Feind. Aus diesem Grund ist Militär und Polizei immer noch viel zu viel wert.

Doch alle sitzen im selben Boot, nicht wahr? Der Putzmann, die Gemüsefrau, der Krankenpfleger und die Kioskverkäuferin: Sie haben alle über ihre Verhältnisse gelebt, als sie in eine Wohnung mit eigenem Zimmer gezogen sind und sich vielleicht eines Tages die erste Reise ihres Lebens geleistet haben.

Wobei, als sich der Wirtschaftsboss, das zweite Hotel kaufte, der Politiker die dritte Luxuskarre und der Großaktionär die vierte Jacht erwarb – da war es ganz in Ordung. Immerhin hatten sie hart dafür gearbeitet und würden sonst all ihr Geld in die Schweiz schaffen. Der Teufel scheißt nunmal immer auf den größten Haufen.

Seit 40 Jahren wird fast nur noch auf den zukünftigen Wert spekuliert. Dinge die gar nicht da waren, wurden bewertet und dann waren sie etwas wert – auch wenn sie vielleicht nie wurden. Und die Kaste der Finanzbewerter entstand, jonglierte wild mit Zahlen und irritierte die vermeindlich Herrschenden, die in ihrer Überheblichkeit dachten, sie hätten die Dinge in der Hand. Doch wo Menschen Teile der Maschine werden, lenken sie die Geschichte nicht nach ihrem Willen und können nichts wirklich neues schaffen, bei all ihrer Arbeit.

Was ist die Krise nicht? Sie ist keine Ent-wertung. Denn wo Dinge abgewertet werden, werden andere aufgewertet. Und das Leiden der einen, ist der Wohlstand der anderen. Ja, das macht die Leute wütend. Und sie haben allen Grund wütend zu sein: schmälert doch ihre Abwertung ihre Aussichten auf gelingendes Leben in Wertanistan.

Vorher aber war’s nicht anders. Nur etwas „gerechter“, etwas „freundlicher“ und „sozialer“. Mit einem neuen Anstrich auf den alten Mauern der allumfassenden Fabrik. Jetzt aber, wo der Putz bröckelt und erneut das tröge Grau der Herrschaft offenbart; jetzt könnte die Zeit sein. Jetzt könnte die Zeit sein, um die Werte über den Haufen zu werfen und ihr System zu zerstören. Die Entwertung könnte beginnen, als fortwährender Prozess.

Und immer weiter, immer weiter, auf zu neuen Ufern und voran im unentdeckten Land könnte es gehen. Wo die Forderung nach umfassender Gleichheit der Ent-wertung immerhin entgegenstrebt und die Sehnsucht zum Ausdruck bringt, die Ketten der Knechtschaft abzuschütteln und zu bewundern, was keinen Namen hat.

Jetzt könnte die Zeit sein. Jetzt könnte unsere Zeit sein. Doch sie ist es nicht. Sie ist es nicht. Wozu also, solch wertlose Gedanken?