Woher, woher nur kommt dieses Gefühl, dass man sich in der Vergangenheit befindet, wenn man in Athen unterwegs ist? Nicht daran glaubend, dass sich Geschichte in der Tat wiederholt, scheint es gleichermaßen auch die Zukunft zu sein, in der sich dieses Land befindet – so oder so, fühlt sich der deutschen Beobachter einer undefinierbaren Zeitverschiebung ausgeliefert.
Die Universität ist umkämpftes Terrain. Wer eine Alt68er-Romantik pflegt, ist hier gut aufgehoben, denn aus der Uni heraus gibt es Impulse die Gesellschaft zu verändern. Was auf den ersten Blick die kämpferische Natur anspricht (jawohl, hier geht es noch um etwas!) erwächst allerdings aus der bedrückenden Notwendigkeit, sich einsetzen zu müssen, weil es sonst wirklich keine Freiräume mehr gäbe. Sie lassen die Studenten hier so lange studieren, weil es eh keine Arbeit für sie gibt.
Denn die Unis hier stehen aktuell stark unter dem Druck des neoliberalen Umbaus, wo sich der Staat aus der Verantwortung für die Bildung zurückzieht und den Nährboden für den Populismus bereitet, auf der er mangels inhaltlicher Legitimation gegründet ist. Keine Bildung: stumpfe Menschen.
An Tagen wo die Sonne scheint und alles soweit seinen Gang geht, ist es kaum zu verstehen. Es ist nicht zu verstehen, dass dieses Land keine Demokratie mehr ist – wenn es denn je eine war und dieser Begriff heute noch Sinn ergibt; dass seine Regierung keine, aber auch wirklich keine demokratische Legitimation besitzt und zur Kolonie des Weltmarktes wurde, um den sich Eurozone, allen voran Deutschland, und die USA streiten.
Letztere haben sich verschätzt mit den kostspieligen verlorenen Kriegen und einer Staatsverschuldung, die doch auf das gleiche hinausläuft wie jene der Griechen. Nur, dass die Amis nie ein öffentliches Gesundheitssystem hatten und es hier wie alle anderen öffentlichen Güter abgebaut wird.
Und das schmerzt. Es schmerzt, wenn alte Menschen einen auf der Straße anhalten und nach Essen fragen. Es ist kein Hobby, wenn Leute systematisch den Müll durchwühlen um etwas Verwertbares zu finden. So etwas hat es vor zwei Jahren nicht gegeben! Doch es ist in erster Linie keine Frage von Intelligenz, ob man die Zusammenhänge blickt oder sich der Realität verweigert.
So, wie die Griechen, welche arbeitslos, keinen vernünftigen Tagesablauf haben, nur hoffen im Ausland Arbeit zu finden, wie alle ihre Freunde. Und dabei viel zu viel trinken. Ach ja, aber Deutschland ist gut. Deutschland – gute Arbeit, gutes Geld! Dabei aber schimpfen sie auf die Obdachlosen, welche ja nicht arbeiten wollen und ihre Kartonhäuser unbeirrt in den Ecken der großen Häuser aufschlagen; ganze Familien sind es, die sich dort zusammenrotten. Keine Arbeit: halbierte Menschen.
Das Leben ändern, denn ändern wird es sich sowieso. Die Welt verändern, denn ändern wird sie sich sowieso. Die Macht angreifen, denn unter gewissen Umständen heißt das Selbstverteidigung.
Bei dieser Polizei zumindest. Sie steht und schaut. Und schaut das nichts geschieht. Das nichts geschieht, was nicht geschehen darf. Maschinenmenschen mit geladenen Pistolen. Auf ihren Motorrädern fahren sie blau blinkend durch die Stadt. Sammelten in der Woche vor Ostern 3000 papierlose Immigranten auf und sperrten sie in eines der 30 neu errichteten Konzentrationslager außerhalb der Stadt.
Hey du, anhalten! Wieso? Zeig mal deinen Ausweis, du kommst doch nicht von hier! Wenn du Franzose bist, warum siehst du dann wie ein Araber aus? Na ja, hast Glück, dass du kein Schwarzer bist! Keine Papiere: Untermenschen.
Für primitivste rassistische Raster braucht es keine Intelligenz. Aber Deutschland, gutes Land. Gutes, gutes Land, welches die Einwanderer nach der Drittstaatenregelung alle wieder nach Griechenland zurückschickt, wo sie in die EU gekommen sind. Welches den Abbau der Gemeingüter erzwingt, für die Menschen seit dem Ende der Militärdiktatur fast 40 Jahre lang gearbeitet haben.
Und die Nazis greifen an, wie es gestern wieder geschah. Die Polizisten schauen zu, wie Ausländer verprügelt werden. Und als ihre Verwandten und Freunde kommen um ihr Recht einzuklagen, schlagen die Bullen diese zusammen. Wenn mal zwei Autos in Exarcheia brennen, nehmen sie die Gegend auseinander. Wenn die Arschlöcher am Omonia-Platz diesen letzten Dreck an Drogen verticken, stehen sie rum und tun – nichts. Denn genau das ist ihre Aufgabe. Staat im Staate. Maschinenmenschen. Ohne Herz und Verstand. Wofür braucht es eine Polizei? Kein Gewissen: keine Menschen.
Man wünschte, es wäre eine Zeitreise in die Vergangenheit. Doch weil es ganz hier und heute ist, ist es auch das, was uns bevorsteht. Das ist die ungleichzeitige Gleichzeitigkeit der lokalen Globalität. Dort, wo die gesellschaftlichen Widersprüche sich manifestieren, wird deutlich, dass es KEIN Versehen ist. Dass es KEIN Fehler ist, was hier geschieht und das es hier NICHTS abzumildern und zu verbessern gibt.
Das, was es gibt, ist Ketten zu verlieren und eine Welt zu gewinnen.