vom 09.08.12
Wenn der Sommer nicht mehr weit ist und die Stadt so unmenschlich heiß ist, gilt es auszubrechen aus dem zivilisatorischen Monster, dem Moloch Athen. Nicht anders beschreiben Griechen ihre Flucht vor dem unorganisierten Chaos der Metropole: als ‚escape‘, als Ausbruch und ‚Rettung‘ vor ungesundem Lärm, Dreck und Hektik der Großstadt. Mitte Juli beginnt es, das sich die Straßen leeren und wer kann, verlässt sie – entweder zu Verwandten auf dem Lande (da ist es auch billiger zu leben), auf eine Insel oder wer es sich leisten kann, auch ins Ausland. Zumindest einen Monat muss man weg, einfach, um nicht komplett durchzudrehen.
Wer dieses auffällige Verhalten begreifen will, muss auch wissen, dass Athen selber zu weiten Teilen erst in den Siebzigern gebaut wurde und die meisten Griechen eine großstädtische Lebensweise eigentlich nicht gerade gewohnt sind und verinnerlicht haben. Ein ‚Modernisierungsprozess‘ dauert eben seine Zeit und weil er immer noch hinterher hinkt, wird ihm heute mit ausländischer eiserner Gewalt nachgeholfen.
Sei es drum, immerhin leben wir in einer Zeit, wo eben auch die meisten Lohnsklaven von heute, sich einen kleineren oder größeren Ausbruch leisten können – um dann wieder leistungsfähig zu werden. Denn das Humankapital, stößt eben an seine psychischen und physischen Grenzen, muss aber, da es einizige Quelle von Mehrwert ist, auch mal Urlaub machen und entspannen. Abgesehen davon, muss ja auch konsumiert werden. Und so fähren sie mit Familie oder Freunden auf eine Insel zum Beispiel, genießen die Schönheit der ‚Natur‘, sind bestens gelaunt, finden neue Freunde und geben all ihr Geld aus in der Taverne, dem Kiosk, dem Supermarkt; vielleicht auch dem Hotel oder Campingplatz und natürlich für Bus oder Auto und die Fähre.
Und es ist ja auch schön, es ist verdammt schön, einfach mal rauszukommen, den Kopf auszuschalten und sich Gutes zu tun, Gutes zu tun und Gutes tun zu lassen. Alles teilen, was auf dem Tisch steht, gemeinsam schöne Erlebnisse zu haben, sich verschenken und beschenkt werden, reden, reden, lachen und schwimmen gehen und am Strand herumliegen.
Die Krise hat ja nicht nur schlechte Aspekte. Früher wurde free camping streng verboten und teuer bestraft. Heute kann man den Menschen die kein Geld haben, doch nicht ihr Bisschen Erholung verbieten. Die Preise in den Hotels sinken. Für ein Doppelzimmer jetzt 30 statt 70 Euro pro Nacht – das können manche Leute sich dann schon leisten.
Im harten Gegensatz zum Immigranten ist der Tourist ein gerne gesehener Gast, mit dem man sich unterhält und freundlich ist, ihm was von seiner Kultur zeigt und überlegt, wie man an sein Geld kommen könnte. Natürlich, man weiß ja auch, dass er wieder gehen wird. Und zwar nicht, weil er die Schönheit der Insel nicht länger aushalten würde oder weil ihn seine Bekannten und Verwandten nach Hause zurückziehen würden, sondern, weil er das Geld, was er ihm Urlaub ausgibt, in Griechenland ja gar nicht verdienen kann.
Frei sein, einfach herauskommen und ja keine Pläne machen; sich einfach nur treiben lassen im verdienten Urlaub. Denn diese Lebensart ist es, die das Leben lebenswert macht und den ganzen Rest irgendwie doch erträglich werden lässt. Am Strand begegnet man ja auch immerhin nicht dem Boss: der liegt in der Zeit am teuren privatisierten Privatstrand und wohnt im Luxushotel – jeder, wie er (zahlen) kann.
Zum Glück macht Geld ja nicht glücklich und deswegen können viele auch den Urlaub genießen, weil durchschnittliche Griechen im Genießen es doch wesentlich weiter gebracht zu haben scheinen als zum Beispiel durchschnittliche Deutsche. Und Genießen war noch nie ein leichtes Spiel. Es ist schon klar, dass so eine Umgebung eine besondere, oft sehr sympathische Mentalität erzeugt. Doch dann muss auch genossen werden. Und wer’s nie gekonnt, der stehle weinend sich aus diesem Bund! Also deswegen gemeinsam auf die Insel, an die Küste und ausbrechen aus Zwang, Stress und Unterdrückung. Und sich bedienen lassen an der Strandbar, manchmal von Kindern in der Taverne und von afrikanischen Sonnenbrillenverkäufern. Mal richtig leben und frei sein – denn das haben wir uns verdient. Zumindest jene, die nicht arbeitslos sind gleichzeitig Kinder zu füttern haben.
Es ist so schön: Die Berge, der strahlend blaue Himmel und das Meer, das Meer, das Meer. Die Freizeit, welche noch keine freie Zeit ist, sondern eine zwangsbefreite. Doch – positive Wendung – natürlich liegt im Genuß ein Kern einer Wahrheit, welcher wegen seiner alltäglichen Versagung zur Rebellion auffordert. Vielleicht liegt so im (illusionären) Ausbruch aus dieser Art von Gesellschaft auch die Chance auf einen (kollektiven) Bruch mit ihr.
Insgesamt jedoch wäre es deswegen clever, ein EU-weites Grundeinkommen einzuführen, um Konsumstandard und Loyalität langfristig aufrechtzuerhalten. Wäre vielleicht auch billiger und effektiver, als Militär, Polizei und Überwachung – aber es profitierten andere Leute davon.