KÖCHELN UND BRODELN, ABER KEIN KNALLEN

1 Mai

(Erneute Anmerkung: Meine für die meisten viel zu langen Beiträge stellen nicht gerade die glänzenden Seiten da, ich weiß. Doch wo andere schweigen oder feiern, kann ich im Moment nicht anders, als auf das zu deuten, was wir ausblenden sollen. Auch wenn das viel mit meinem Leben zu tun hat, weil ich kein privat/öffentlich anerkennen will, kann ich allen LeserInnen versichern, dass hier nebenheit auch viele andere Dinge zu sehen sind und man in Athen viel Spaß haben kann.

So werden weitere Beiträge folgen, in denen es hoffenlich auch um weniger politische Inhalte geht. Unter anderem eventuell: Athener street-art, Straßenleben, Schildkröten-Katzen-Hunde, Drogenszene, antike Kultur, beruhigte Lebensstile und natürlich die Musikkultur… Über Anregungen, Kommentare und Nachfragen freue ich mich immer.) 

vom 01.05.12

Die Annahme, dass es Griechenland mit den aufgezwungenen Sparmaßnahmen hart getroffen hat ist falsch. Sie ist es deshalb, weil die wirklichen Kürzungen entweder immer noch bevorstehen oder ihre verherrende Auswirkung noch entfalten werden. Was neben materiellem Wohlstand hier aber täglich für viele Leute schwindet, ist eine politische Handlungsperspektive, die einerseits so etwas wie sozial sein und andererseits über das Bestehende hinausverweisen könnte, anstatt Elend und Ausbeutung nur weiter zu verwalten.

 Um so beeindruckender aber sind die Menschen, die dennoch nicht aufgeben und weitermachen. Wie zum Beispiel die Anarchisten mit ihren selbstorganisierten Zentren und besetzten Häusern in denen Veranstaltungen zur kritischen Selbstbildung, Filmvorführungen, gemeinsames Essen und natürlich Aktionsplanung stattfinden. Gerade die scheinbare Naivität vieler politischer Leute hier fasziniert, die das Motto: Alles muss man selber machen! wirklich leben. Weil die Fronten aber klarer sind, müssen die Dinge praktisch angegangen werden. Die Frage ‚Was tun?‘ nach einer Diskussionsveranstaltung ist in Athen konkret gemeint, wo die Trennung zwischen Privatem und Öffentlichem aufgebrochen wird.

Doch man muss nicht in düsterem Schwarz herumlaufen, wo es nachmittags so warm wird, dass man wirklich vor der Sonne fliehen muss. So hat die real-democracy-Bewegung seit vor einem Jahr der Syntagma-Platz besetzt worden war, auch in Athen ihre Anhänger gefunden. Die Menschen dieser neuen politischen Generation können mit dem alten Partei- und Organisationsgehabe nichts mehr anfangen, weil sie gar keine Repräsentanz ihrer Unterdrückung wollen. Und dennoch tun und machen sie was, gehen einfach (fragend) los – Wie zum Beispiel jene Gruppe, die zu Fuß von Nizza aus ein halbes Jahr lang gewandert und nun in Athen angekommen ist. In den Städten haben sie auf öffentlichen Plätzen gezeltet und ihre Botschaft verbreitet. Ist solches Handeln einfach nur unreflekiert und verändert nichts? Ist es vielleicht nicht wirklich emanzipatorisch, wie viele sich selbst elitär fühlende Linke, die so überaus deutschen ideologiekritischen Ideologen, bemängeln?

Möglicherweise ist es aber eben doch das einzige, was noch bleibt und was immer zuletzt blieb, bevor sich was änderte: die Verfügung über den eigenen Körper in Zeiten des immer stärkeren biopolitischen Zugriffes auf diesen, mit dem Ziel noch die letzte Zelle verwertbar zu machen. Überproduktions- und Unterkonsumptionskrisen könnten weiterführen. Könnten dahin führen, Menschenrecht konkret zu verwirklichen – angefangen bei einem europäischen Grundeinkommen. Es ist alles da. Es ist mehr als genug da. Die Behauptung der Knappheit der Resourcen ist eine fortwährende Lüge, da die Verknappung materieller Güter permanent hergestellt wird, wo seit den letzten 30 Jahren eine Umverteilung von unten nach oben und die Privatisierung öffentlicher Güter betrieben wurde. Alles was da ist, gehört allen, die es produziert haben – wenn dieser Gedanke eines Tages Recht werden sollte, verlangte er allerdings ein anderes Rechtssystem.

Aber Hauptsache noch ein Ding, noch eine unnütze Sache bauen, die das Leben nicht einfacher sondern komplizierter macht. Hauptsache noch etwas kaufen und in den Kopf schütten, was irgendwie Mehrwert generieren könnte. Hauptsache noch ein Event, ein Erlebnis, das uns Leben suggeriert und über das Alltägliche und Eigentliche hinwegtäuschen soll. Dabei aber immer in Abhängigkeit bleiben; in der falschen Freiheit, die immer auf Kosten anderer genommen wird.

Die andere Freiheit kann weder genommen noch gewährt werden. Sie ist, wie die Liebe, dass, was sich verdoppelt, wenn man sie teilt: weil sie eine Beziehung zwischen Menschen ist und niemand für sich alleine frei sein kann.

Und dieses Niveau, auf dem sich Menschen begegnen, wird durch die abstrakte formale Gleichheit, als ein ähnliches behauptet. Doch da ist keine Begegnung zwischen den Bürgern und den Obdachlosen, an denen sie verächtlich vorbeigehen, weil sie nichts, gar nichts verstehen. Da ist keine Begegnung zwischen den Hausbesitzern und den Arbeitern, die ihnen das Leben bezahlen – mit ihrer Arbeits-, ihrer Lebenszeit. Keine Beziehung ist da zwischen den kleinen Händlern, die für den Staat die Mehrwertsteuer eintreiben und den Bossen der Rüstungskonzerne, welche für Staatseinnahmen nichts als Todesmaschinen geben können.

Und schließlich ist auch keine Begegnung da, zwischen Repräsentanten und den Repräsentierten in einer Demokratie, die wir uns immer nur als Luxus geleistet haben; die immer nur ein Gut-Nacht-Bonbon war um ruhig schlafen zu können, während die gesellschaftliche Fabrik weiterarbeitete.

Und wo hellwache Menschen den Einwanderern die Hände reichen, weil sie sich als Menschen erkennen, da wird der Keil reingetrieben von den Rechten, den Faschisten und der Polizei. Zwischen letzteren immerhin verschwindet die Trennung zunehmend, wo der Staat teilweise ins Schattenreich abwandert und dieses sich nicht mehr scheuen muss, ans Licht des politischen Geschehens zu drängen.

Heute und hier in Griechenland, findet eine Teilung der Gesellschaft in einem Maße statt, wie sie auch der erkaufte deutsche Wohlfahrtsstaat nicht mehr ewig wird versöhnen können.

Und die Menschen sitzen am ersten Mai, nach den großen Demos in der Stadt (wo aber nichts groß passiert) sitzen in Cafés und freuen sich, so gut es eben noch geht. Die Hunde bellen und laufen herrenlos durch die Stadt. Am bisher wärmsten Tag dieses Jahres bleibt eben doch nichts, als zu warten – vielleicht bis nach den Wahlen nächsten Sonntag. Vielleicht, vielleicht ändert sich ja doch noch was. Was auch immer.

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