SPEKTAKEL UND DEBAKEL

8 Mai

vom 08.05.12

Nun war’s das also. Haben die Griechen gewählt. Wie man das so machen sollte in einer Demokratie – gelegentlich. Und am Sonntag Abend haben viele die hereinkommenden Ergebnisse verfolgt. Es war ein Bisschen wie in der Fußball-EM 2004, die Griechenland überraschenderweise gewann, was den Leuten in guter Erinnerung geblieben ist. Damals, mit diesem deutschen Trainer, konnten sie ordentlich punkten. Diesmals allerdings sorgt der deutsche Trainer nicht gerade für Begeisterung – im Gegenteil, viele Leute haben keine Lust mehr sich unterwerfen zu lassen und müssen es doch jeden Tag.

Insofern spiegelt das Wahlergebnis schon die Stimmung in der Bevölkerung wieder. Dass Nea Demokratia und besonders PASOK, die beiden ‚Volksparteien‘ unschllagbar eingebrochen sind, war zu erwarten, ist aber dennoch signifikantes Zeichen für eine Gesellschaft, in der es einfach nicht mehr so weitergehen kann. Und SYRIZA, die Linke hat gewonnen. Das ist schön, weil es damit (im Gegensatz zur KKE die traditionsgemäß absahnen konnte) eine europäische Alternative gibt. Denn so sehr die Griechen ihre Eigenheiten haben mögen – hier geht es um Europa. Und um die Frage, ob die Bevölkerungen weiterhin der neoliberale Finanzherrschaft hinnehmen wollen oder einsehen, dass es so nicht weitergeht.

Nachzuschauen u.a. hier: http://www.griechenland-blog.gr/tag/wahlergebnis/

Die Konservativen bekommen als erste Partei als Bonus 50 Sitze der 300 im Parlament. Wer sich diese dämliche Regelung in der vorletzten Legislaturperiode ausdachte, hatte damit seine ganz eigenen Interessen. Bleibt abzuwarten, ob ihm das Gesetz auf den Kopf fällt, denn es wird wohl Neuwahlen geben. Für eine erneute ‚große Koalition‘ mit PASOK reicht es nicht und die anderen Parteien, auch die rechtspopulistische Ανεξάρτητοι Έλληνες (= Unabhängige Griechen) sind gegen die Durchsetzung der Sparmaßnahmen des Memorandums II.

ND hat den Regierungsauftrag als stärkste Partei verweigert. Der geht jetzt an SYRIZA weiter, die aber auch mit der ‚Demokratischen Linken‘ und der wiederborstigen kommunistischen KKE, keine Mehrheit zu Stande bringen kann.

Pattsituation könnte man sagen. Und es gibt kein Licht am Ende des Tunnels. Wahrscheinlich dürfen dann in sechs Wochen alle noch mal wählen gehen, sodass sich das Spektrum etwas konzentriert. Das betrifft vor allem auch die anderen der insgesamt 33 Parteien, die an der 3%-Hürde gescheitert sind. Wobei es doch schade ist, dass die Grünen den Einzug knapp verpasst haben – das wäre für Griechenland auch mal etwas Neues gewesen.

Nun aber zum Schandfleck, über den leichte Worte zu verlieren vollkommen unangemessen ist. Die Faschisten zu verschweigen fördert sie allerdings noch wesentlich mehr. 7% für die neofaschistische Χρυσή Αυγή (Chrysi Avgi = Goldene Morgendämmerung) ist eine der widerwärtigen Kehrseiten, des hießigen Ausbeutungsregimes. Heute ist kein Tag der Befreiung. Die Faschisten sind sowohl in ihrer Rhetorik, als auch in ihrer Aktion wesentlich deutlicher als beispielsweise die deutsche NPD. Natürlich gibt es in Deutschland auch genug Nazis, aber gleichfalls auch eine mehr oder weniger demokratische Polizei und die Leute sind aufgeklärter, denn da war ja mal was in der Geschichte. Die Rest-EU hat die ‚Migrations-Problematik‘ mit der Drittstaatenregelung nach Griechenland ‚abgeschoben‘, sodass die sozialen Konflikte hierzulande multipliziert werden. Führer Nikolaos Michaloliakos fordert Gehorsam und lässt verlauten, wer nicht für sie sei, sei gegen sie.

In der Tat, es gilt heute wieder Position zu beziehen. Denn auf gerade auf dem Land sehen die Verhältnisse anders aus, als in der Metropole Athen, wo es wirklich viele Migranten gibt. Besonders dort, in den stille ruhigen Örtchen, wo doch eigentlich alles wie immer sein sollte, schlummern die alten Säcke und jungen Glatzköpfe, die endlich Rache wollen für ihr verkacktes Leben. Blut muss fließen und Blut fließt. Die tägliche Übergriffe auf Migranten sind keine Gerüchte sondern bitteren Realität und das ist, was man hört. Was sich wirklich in einigen Gegenden Griechenlands abspielt, kann nicht mal Zyniker kalt lassen. So alt ist er und so tief sitzt der Hass, die Verachtung alles Fremden, die großen Minderwertigkeitskomplexe aus der verfehlten Erziehung. Und der griechische Staat hat diese ganze Scheiße-Ideologie zugelassen, die ganze Zeit. Die Hierarchie in der Polizei ist unglaublich. Männlichkeit, Ehre, Blutreinheit. Und die jungen Rekruten werden von ihren Hauptmännern mit runter in die Zellen der Polizeistationen genommen um die Kanaken zu schlagen. Weil das Spaß macht. Und weil das sein muss.

Just vor den Wahlen tauchen überall Geschichten auf. Und die Leute erzählen sich, was sie gehört haben, was man sich erzählt: Dass die Ausländer kriminell sind, dass sie stehlen, vergewaltigen und wie fast alle Griechen ihre Miete nicht regelmäßig zahlen. Und dann ruft jemand die Faschisten zu Hilfe und ja, Χρυσή Αυγή hilft. Hilft und zahlt den Untermenschen heim, was sie der griechischen Ehre angetan haben. 30 Konzentrationslager rund um Athen sind nicht genug. Heute ist Festtag, heute ist Ehrentag und jeder ordentliche Grieche soll mit anpacken um das Werk zu vollbringen und die Reinheit, die Ehre wieder herzustellen.

Angst und Schrecken, die Rechtfertigung dessen, was täglich geschieht und die Vorbereitung dessen, was geschehen soll. Ist nur äußerst bedingt eine Frage der Intelligenz, denn niemand muss nur ansatzweise klug sein, um zu erkennen, was hier gespielt wird. Na gut, es sind ja nur 7%, nur 21 Sitze im Parlament, sagen manche und verkennen damit, wie weitverbreitet der Rassismus und die faschistische Ideologie in der Bevölkerung wurzelt.

Und darum gilt es Position zu beziehen, denn jeder der das Geschehen relativiert macht sich mitschuldig. Das hat nichts damit zu tun, nun gleich unheimlich xenophil zu werden und multikulturell die konflikthaften Widersprüche der kapitalistischen Bewegungen zu versöhnen. Es geht auch keinesfalls um die Problematiken, welche sich aus Migration (die es zu allen Zeiten der Menschheitsgeschichte gab) zu leugnen und sich von den bestehenden Problemen einer sich zu rasch wandelnden Kultur abzulenken.

Es geht schlicht und einfach darum, wie Einzelne zu folgendem Satz stehen:

Alle Menschen sind frei und gleich geboren und haben eine Würde, die ihnen nicht verliehen werden muss.

Hält man sich das vor Augen, wird deutlich, dass eine Wahl eben nur eine Wahl ist und die dahinter stehenden gesellschaftlichen Prozesse wesentlich wichtiger sind. Demokratie hat nichts damit zu tun, einen Zettel in eine Urne zu werfen, anschließend festzustellen, dass sich nichts ändert und sich dann über die Dummheit und Gemeinheit der Politiker zu beschweren. Das tun die meisten Griechen nämlich sehr gerne und kann als Zeichen Resignation nach jahrzehntelanger Unterwerfung gelten.

Die neue Gesellschaft aber wird entweder von den Autoritäten um die Leute herumgebaut um sie einzumauern. Oder sie wird von vielen Menschen aufgebaut, als ein Fundament eines gelingenden menschlichen Zusammenlebens, dass sich auf Gegenseitigkeit, Verantwortung und Verteilung des gemeinsamen Reichtums gründet und eine gemeinsame und lebenswerte Zukunft ermöglicht.

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